Mit Beta Okapi
nach Friedrichshain

Parallelenforschung – Eine Zimmerreise nach Friedrichshain von Beta Okapi
Dienstag, 29.11.2016
Meine Zimmerreise führt mich nach Friedrichshain in eine Wohnung, wo G. mit ihrem 4 jährigem Sohn lebt. Wir trafen uns bisher seit zwei Jahren in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe in Seminarräumen oder an öffentlichen Orten.
In meiner Vorstellung hat sich über die Zeit ein Bild entwickelt, wie sie wohl wohnt. Habe mir dieses am Tag zuvor kurz notiert; gemütlich, bequeme Sitzgelegenheiten, viele Dinge, Kinderspuren, lebendig, Sachen liegen rum, eine farbig gestrichene Wand, vielleicht im dunklen Violett, flieder, Einrichtung nicht aus Möbelhaus, eher zusammen gewürfelt.
Meine Reisezeit ist knapp bemessen. Hektisch verirre ich mich in den Überquerungsmöglichkeiten von Alt Treptow über die Spree nach Friedrichshain. Um die Ecke gebogen, angekommen in einer anderen Welt. Boxhagener Straße. Trendig alternativ, langsam verwischende Spuren von Rock`n Roll und Punk. Die kleine Schwester von Kreuzberg.
Wo ist der nächste Blumenladen? Hier im Osten gibt`s doch immer viele asiatische…? Da. Nadelige Weihnachtsgestecke, bunt und üppig gequetschte Blumensträuße, Berliner Dialekt. Geschmackloser Übertopf – zum Glück nicht im Kauf enthalten. Es wird ein Mini-Weihnachtsstern. Eingepackt und vor der Haustür wieder ausgepellt.
Kurz vor zwölf. Zwei Hände reichen gerade so aus, um noch schnell ein Foto (Bild: Matratze am Haus lehnend) zu machen, den Baulärm aufzunehmen und die Klingel zu drücken. Schreck. Auf dem Klingelschild darunter steht Panik. Ist kein Witz, wie sich später rausstellt. (Bild: 2 Klingelschilder)
Altbau. In Grautönen gehaltener gepflegter Hausflur. Zwei ausrangierte Bücher und eine dickbäuchige Teekanne auf dem Fenstersims. Zu verschenken. Der Blick durch das Sprossenfenster in den Innenhof füllt sich mit Fahrrädern. Wohlfühlambiente. (Bild: Hausflurfenster, Sachen)
Die Tür öffnet sich. Ein sekundenkurzes Zögern, wie zwei irritierte Tierchen. Ein Schritt in die Wohnung und mein Bild beginnt zu leben. G. in ihrem privaten Lebensraum. Der verlängerte Arm ihres Selbst. Schutzraum und Rückzugsort für Mutter und Kind.
Direktlandung auf dem Küchensofa. G. schaufelt etwas mehr Platz frei, nimmt ein Häufchen Klamotten weg.
Erstmal ankommen, umschauen, reden, updaten, austauschen, einpendeln.
G. deckt den Kaffeetisch.
Vom Küchenschrank hängt ein blättriger Lianen-Vorhang herab, durch den sie hindurch greift (Bild: G. am Schrank m. Pflanzen) um an das Kaffee-Geschirr zu gelangen. Ich bin beeindruckt von ihrer Ruhe, welche sie dabei bewahrt
und dass sie der Pflanze die Freiheit lässt, so zu wachsen, wie sie will. Auch wenn es ihre Handlung erschwert. (Ich hätte die Pflanzen längst wie im Gesicht hängende Haare nach oben oder zur Seite gebunden.) Der Nachbar von rechts (Herr Panik vom Klingelschild) hat die Pflanzen gegossen, als sie im Sommer verreist war. G. vermutet, dass er sie gedüngt (besungen, mit ihnen gesprochen)haben muss, da sie während ihrer Abwesenheit so üppig gewachsen sind.
Es hustet außerhalb der Küche. G.s bester Freund ist zu Besuch. Auf mein „Huhu.“ folgt eine Antwort aus dem Flur. Er steht zur Begrüßung im Türrahmen. Noch eben was Einkaufen? Brauchen wir noch was?
Ein roter Wollfaden hängt von einen Griffen zum anderen befestigt an den unteren Türen des Küchenschrankes. Der rote Faden im Leben. Es im Griff behalten. Der Lichteinfall der Sonne, durch das beschlagene Küchenfenster wirft eine Projektionen auf den Schrank. (Bild: roter Faden)
Sie hat lange kein Kaffeekränzchen mehr gemacht, sei auch keine gute Gastgeberin, meint G., während ich mich auf ihrem Küchensofa wohl fühle und ihr beim Eindecken zuschaue. Sie könne jetzt noch Serviettenkunst machen, sagt sie.
Und ihre Hände falten eine hellgrüne Serviette, die sie auf den Teller stellt.
(Bild: Hände beim Serviette Falten)
Ein Wäschehaufen vor der Waschmaschine. Entdecke gemusterten Stoff, der eine Verwandtschaft zu meiner Jacke bildet. G. zieht das Kleidungsstück raus. Eine Jacke mit dem gleichen Schnitt wie die Meinige. Wir machen ein Reise-Selfi vor dem Spiegel im Wohnzimmer. (Bild: Beta Okapi u. G. vorm Spiegel)
Am Kaffeetisch. (Bild: beschlagene Fensterecke) Der beste Freund, G. und ich – die Zimmerreisende.
Es gibt 2 Stücke russischen Zupfkuchen, 1 Stück Kiwi-Cheesecake – geteilt durch drei. Wir beginnen das Tischgespräch mit Erinnerungen an Kaffeekränzchen in unserer Heimat, unserer Kindheit. Ich erzähle, wie es auf dem Land in Schleswig-Holstein bei den Bauern war.
Tue ein bisschen zu schlau, und schäme mich später dafür, beim Anhören der Tonaufnahmen.
Durch die Wand neben meinem Ohr erklingt klassische Musik. Herr Panik hört gerne mal laute Musik, sagt G. und findet das schön.
Ich hätte Lust, den Menschen der da auf der anderen Seite wohnt zum Kaffekränzchen einzuladen. Folge meinem Impuls nicht.
Ein Ast mit Fäden daran. (Bild: G. mit Stock in Küche) Hat der Sohn auf der Straße gefunden und mitgenommen. Aus dem kann man doch prima einen Adventskalender basteln. Ist quasi schon präpariert dafür.
Ich wage es nun, meine Reise durch die Wohnung anzutreten. Ein Blick zurück durch die Scheiben der Küchentür. (Bild: Fensterspiegelung, rot) Eine Spiegelung. Der aus dem Fenster schauende Gast hinter Glas mit Kinderzeichnung darauf.
Das Kinderzimmer. Noch abgedunkelt vom Morgen. Eine einsame Mini-Socke (Bild: Socke, Herzchen) ergänzt sich farblich mit dem alten Dielenboden. Wo wohl die Zweite ist? Forsche zwischen den bunten Dingen nach ruhigen Ecken. Ein neongrünes Putzutensil wird hier zum Kuschel-Igel (Bild: grüner Fransenmopp). Auf Augenhöhe tauche ich in eine kleine Landschaft ein. Werde von unterschiedlichen Wesen angeblickt. (Bild: Spielzeuge)
Stille in der Küche. (Bild: Wand, Uhr, Tablett) Höre ich die tickende Uhr und das Summen des Kühlschrankes? Der Baulärm übertönt.
G. ist beschäftigt im Wohnzimmer.
Gestapelte Leinwände auf dem Flur auf einer Ablage. Was da wohl drauf ist?
Im Wohn-, Schlaf-, Arbeits-, Gästezimmer. Schlafsofa mit Besucherspuren; Buch, Ohropax. Das Bett der Königin steht am Fenster. Eine Schaufensterpuppe (Bild: Schaufensterpuppe) mit verlebten Spuren im Gesicht. Sie lukt sinnlich zwischen den Vorhangstoffen hindurch. Arbeitsplatz, Rechner, Schreibtisch, Staffelei, darauf Brett mit Farbspuren, im Regal und an Tür eine blaue Gruppe. (Bild: Regal, blaue Gruppe)
Ein quitsch-orangenes Telefon mit Wahlscheibe versetzt mich kurz in meine Kindertage. Geht das noch? Nee, aber könnte man vielleicht mal anschliessen.
Davor ein getrockneter, bunter Placken Acrylfarbreste. Passen gut zusammen, die beiden Ungleichen.
Wie Spagetti liegen Kabel auf abgezogenen Dielen. (Bild: Kabel auf Holz) Kabel-Thema in der Malerei von G.
Der Gast raucht auf dem Balkon. (Bild: Silhouette, Krickel blau) Wieder ein schönes Nebel-Krickelbild. Zweites Foto mit Silhouette hinter beschlagener Scheibe und Kinderzeichnung auf Glas.
Auf`m Klo. Ein aufgepusteter, mittlerweile erschlaffter Einweghandschuh auf dem weiß gekachelten Boden. Kinderspur? (Bild: Latexhandschuh) Die Nagelbürste ist Sattelschlepper für die betagte Seife. Sie sind lieb zueinander. (Bild: Seife a. Nagelbürste) Eingeklemmter Schwamm unterm Waschbecken. Gleiche Situation auch bei mir zuhause. So haben wir`s gelernt. Die geklemmten Schwämme. (2 Bilder: Schwämme)
Zeige G. kurz die Reise-Fotos. Sie erzählt von Installationen ihres Sohnes, die sie immer mal wieder an verschiedenen Stellen in der Wohnung überraschend entdeckt. Lappen um den Wasserhahn gewickelt oder auch der rote Wollfaden am Küchenschrank?
Auf dem Gasherd wurde eine getrocknete Kaffee-Pfütze zum Kaffee-Fisch. (Bild: Kaffeefleck) Eine Puppe schläft auf dem Stuhl neben dem leeren Kuchenteller. (Bild: Puppe, Teller) An der Wand hinter dem Küchentisch hängt (Bild: Schriftzug Frieden), als großer Schriftzug, ein kindliches Graffiti: Frieden
Mein Handy-Wecker klingelt zum dritten mal. Ich erwache aus meinem Traum im Reich des kleinen Künstlers und seiner Königin.
Danke und Auf Wiedersehen! (Bild: Schuhe)

alle Bilder und Texte © Beta Okapi 2016